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Montag, 27. Mai 2013

Prophylaxe




In der Zwischenzeit vor der Gabelung,
wo noch das Leben pulst und pocht
und mäht und würstchengrillt,
wo unter der Vitaldunstglocke
das Verzagen an Herzensränder flattert.

Wo im Ruß Krustentierspuren schmoren,
in Löwenzahnhäcksel Tautränen trocknen,
klaube ich mir Worte zusammen
für Abschiede:

mögliche
eventuelle
prophylaktische.

Doch wenn die Würstchenmäuler satt sind,
die Mäher träumen und
der Flieder abendleuchtet,
üb’ ich mich in Jubelschreien
fürs Ende der Zwischenzeit.

Singe
Tanze
Herze

geradewegs prophylaktisch.


Samstag, 25. Mai 2013

Dienstag, 30. April 2013

Kürzlich beim Urologen

 
Männer sind bekanntlich Weicheier, wenn es um den Besuch beim Arzt geht. Namentlich im Angesicht des Urologen. Urologe = rektale Prostatatastuntersuchung. So denkt man. Frau auch. Bis sie hingeschickt wird, weil Niere, Blase oder was sich sonst in der Nachbarschaft artverwandter Organe befindet, irgendein Wehwehchen aufweist, das sich außerhalb der Wirk- und Reichweite der hausärztlichen Fachhände vermuten lässt.

Dieser hier trägt den klangvollen Namen Rauher, was zunächst nicht weiter von Belang ist. Erst als eine auffallend hübsche Sprechstundenhilfe mit einem auffallend gelb-grünen Restveilchen am rechten Auge ins Untersuchungszimmer bittet, kommt ein leises Irritationsgefühl auf. Plötzlich wirkt die dunkelbraune Spät-70er-Atmosphäre aus vollgestopften Einbauschrankwänden und heruntergelassenen Jalousien beklemmend, die noch während der kaum 95-minütigen Wartezeit etwas beruhigend Einschläferndes ausstrahlte. 
Der Herr Dr. urol. folgt der ramponierten Schönheit auf dem Fuße und offeriert einen wohltemperiert rauhen Händedruck – irgendwo zwischen jovialem Ist-doch-alles-halb-so-wild und Kennen-wir-uns-nicht-von-irgendwoher.
Dass wir uns kennen, weiß er, weil es in meiner Patientenkarte steht. Der Rest hat vermutlich mit einer Art Röntgen-Diagnoseblick zu tun. Das soll es ja geben: Menschen, die einem nur ins Gesicht sehen müssen, um zu wissen, dass es die Galle ist, die drückt oder das Herz-Chakra. Wer etwa den taktischen Fehler begeht, ein Foto mit herausgestreckter Zunge bei Facebook einzustellen, erlebt Erstaunliches. Unglaubliches. Von der Empfehlung für den TCM-Therapeuten bis zur sorgenvollen Frage nach Hals- und Rachengesundheit. Einer entdeckte Ähnlichkeit mit Albert Einstein. Vielleicht sollte es beruhigen, dass Einstein nicht an urologisch-nephrologisch relevanten Zuständen litt, sondern an einem Aneurysma verstarb. Ausbluten statt Inkontinenz – klingt nach dem besseren Tod, nicht nur für Genies.
Vermutlich hätte Einstein berechnen können, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, an einen Urologen namens Rauher mit ebensolchem Händedruck, einer Veilchen-geschmückten Helferin und tageslichtscheuer Inneneinrichtung zu geraten. Ich wette, sie geht gegen Null.
Der Doktor kommt indes so direkt wie diskret zur Sache, hilft beim ultraschallbedingten Herunterziehen des Hosenbundes, bietet zwei Behandlungsalternativen – eine mit Kostenerstattung durch die Kassen, eine ohne – bittet um Wiederkehr zwecks frischer Urinabgabe und hat sich nach präzisen acht Minuten Gesamtzeit schon wieder verabschiedet – mit einem Ist-doch-alles-halb-so-wild-Händedruck.
Die Veilchen-Prinzessin reicht lächelnd einen Urinbecher über den Tresen und notiert den nächsten Termin.

Beim Verlassen der Praxis fällt der Blick auf einen von innen an die Glastür geklebten Notizzettel, über Kopf zu lesen: „Wir haben heute kein Blut. Bis morgen!“ 

Donnerstag, 25. April 2013

Dienstag, 16. April 2013

Die Eiche II


Nun binde ich meine Worte an einen Ballon und schicke sie in den Wind, dabei wünschte ich, du fingest sie auf mit den zartesten deiner Triebe und hieltest sie sanft im Blattwerk, bis das Jahr seine Zeiten durch dich und mich getrieben hat und am Ende wieder die Hoffnung steht, dass es noch einmal gut werde – ein Jahr.

Sie zittern und zagen dort oben, meine Worte. Sie sind flüchtig, wenn du sie nicht hältst. Fragil und zart, wie jedes Versprechen. Wie jeder Eid, der unter dir geschworen wurde, jeder Schwur, den sie dir in die Jahrhundertborke ritzten.
Ein Jahr. Ein Jahr will ich dir versprechen. Vorerst. Mehr wage ich nicht. Ein Augenblick für dich, so unsagbar groß, alt und standhaft du bist. Wie viele Stürme hast du durchgestanden, wie viel Eis im Frühjahr aus deiner Krone geschüttelt, wie viele Eicheln hast du geboren, wie viele nutzlos am Boden verdorren sehen?

Genügsam bist du. Du brauchst die Worte nicht. Und nicht die Liebe. Brauchst kein Herz und keine Hand, die dich liebkost. Freigiebig schenkst du ihr deinen Schatten, schickst sanfte Lichtspiele hinunter auf jene, die so bedürftig um Herz und Hand seufzen, weil das Seufzen die Worte überflüssig macht.

Teuerste, treueste Freundin. Das wirst du mir, egal, ob ich es dir auch werde. Schattenspielspenderin meiner Liebe. Hüterin von Herz und Hand. Wächterin meiner Worte.

Was, wenn übers Jahr mein Herz verdorrt, mir das Eis die Adern zerfrisst und der Sturmwind mich zittern macht? Was, wenn die Liebe geht? Werde ich stehen wie du? Groß, alt, ruhig, genügsam, wachsam, freigiebig? Stark?

Halte mein Wort, damit es nicht zerrissen wird in kommenden Stürmen.
Ein Jahr. 

Samstag, 13. April 2013

Die Eiche

Ich hätte mir Katzen zulegen können, oder einen Sittich. Ein Tageskind wäre auch möglich gewesen. Und so praktisch: Abends würde es abgeholt, mitsamt der dazugehörigen Verantwortung. Danach könnte ich die Beine hochlegen, ein gutes Buch zur Hand nehmen oder die Fernbedienung. Oder mal wieder ins Kino oder ins Theater gehen. Da war ich schon länger nicht mehr, wenn ich's recht bedenke.

Stattdessen nun die Eiche. Sie ist alt, deutlich älter als ich, was ja schon was heißen will. Aber sie reckt die Arme gen Himmel, als wäre dies ihr erster Frühling. Ich weiß nicht mal, ob ich nun den zweiten oder dritten Frühling erlebe. Ich weiß nur: Frühling. Und die Eiche. Sie steht da so eindeutig, so wuchtig und unverrückbar, dass sich die Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume in ihrem Schatten kaum rantrauen an diesen Frühling.

Also bin ich nun verantwortlich für dieses Symbol von Kraft, Stärke, Standhaftigkeit und deutschen Tugenden, die ich samt und sonders erfolgreich verdrängt geglaubt hatte. Ich werde ihren Wuchs beobachten, ihr Äste beschneiden, bevor der Sturm sie kappt, ihren Stamm tätscheln, ihr Laub einsammeln und mich darüber ärgern, wieviel Laub ein einzelner Baum übers Jahr produzieren kann  - und vielleicht einmal etwas in ihre Rinde ritzen. Niemand hat das bisher getan. Sie war wohl zu Erfurcht gebietend.
Vielleicht werde ich nichts hinein ritzen.

Abends, wenn die Sonne durch ihre Äste dringt, werde ich wissen, ob der Tag gut war. Ich werde wissen, ob ich mit wohligem Seufzer die Füße gegen die Stütze vom Terrassenvordach pressen kann, den Rücken entspannt im Holzsessel zurückgelehnt. Ich werde wissen, ob ich zufrieden sein kann mit dem, was ich geschrieben habe. Ob ich geliebt habe oder noch lieben werde, ob ich mich freue auf die Stille der Nacht oder Sehnsucht habe nach Musik und Tanz.
Und dann werde ich sagen: "Gute Nacht, Eiche!"

Mittwoch, 10. April 2013

Rätsel ohne Punkt


Ich würde dir ohne Bedenken
Meine letzten Lettern schenken.
Als letztes Wort ein zartes du;
mein schönstes A und O dazu.

Hier ein hübsch langer Gedankenstrich!
Dies Semikolon: nur für dich!
Ausrufe-, Frage-, Anführungszeichen
ritz ich für dich in alte Eichen.

Die Kommas kann ich eh kaum brauchen,
da schenk ich dir nen ganzen Haufen.
Darauf noch ein Auslassungsstrich -
bloß einen Punkt, den find ich nicht.

Drum lies mich doch gern noch einmal:
Saug auf die Konsonante und Vokale!
Und wenn du mich jetzt fragst: Wofür?
Das steht auf einem andern Papier.

© Christiane Nitsche