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Dienstag, 16. April 2013

Die Eiche II


Nun binde ich meine Worte an einen Ballon und schicke sie in den Wind, dabei wünschte ich, du fingest sie auf mit den zartesten deiner Triebe und hieltest sie sanft im Blattwerk, bis das Jahr seine Zeiten durch dich und mich getrieben hat und am Ende wieder die Hoffnung steht, dass es noch einmal gut werde – ein Jahr.

Sie zittern und zagen dort oben, meine Worte. Sie sind flüchtig, wenn du sie nicht hältst. Fragil und zart, wie jedes Versprechen. Wie jeder Eid, der unter dir geschworen wurde, jeder Schwur, den sie dir in die Jahrhundertborke ritzten.
Ein Jahr. Ein Jahr will ich dir versprechen. Vorerst. Mehr wage ich nicht. Ein Augenblick für dich, so unsagbar groß, alt und standhaft du bist. Wie viele Stürme hast du durchgestanden, wie viel Eis im Frühjahr aus deiner Krone geschüttelt, wie viele Eicheln hast du geboren, wie viele nutzlos am Boden verdorren sehen?

Genügsam bist du. Du brauchst die Worte nicht. Und nicht die Liebe. Brauchst kein Herz und keine Hand, die dich liebkost. Freigiebig schenkst du ihr deinen Schatten, schickst sanfte Lichtspiele hinunter auf jene, die so bedürftig um Herz und Hand seufzen, weil das Seufzen die Worte überflüssig macht.

Teuerste, treueste Freundin. Das wirst du mir, egal, ob ich es dir auch werde. Schattenspielspenderin meiner Liebe. Hüterin von Herz und Hand. Wächterin meiner Worte.

Was, wenn übers Jahr mein Herz verdorrt, mir das Eis die Adern zerfrisst und der Sturmwind mich zittern macht? Was, wenn die Liebe geht? Werde ich stehen wie du? Groß, alt, ruhig, genügsam, wachsam, freigiebig? Stark?

Halte mein Wort, damit es nicht zerrissen wird in kommenden Stürmen.
Ein Jahr. 

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