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Samstag, 13. April 2013

Die Eiche

Ich hätte mir Katzen zulegen können, oder einen Sittich. Ein Tageskind wäre auch möglich gewesen. Und so praktisch: Abends würde es abgeholt, mitsamt der dazugehörigen Verantwortung. Danach könnte ich die Beine hochlegen, ein gutes Buch zur Hand nehmen oder die Fernbedienung. Oder mal wieder ins Kino oder ins Theater gehen. Da war ich schon länger nicht mehr, wenn ich's recht bedenke.

Stattdessen nun die Eiche. Sie ist alt, deutlich älter als ich, was ja schon was heißen will. Aber sie reckt die Arme gen Himmel, als wäre dies ihr erster Frühling. Ich weiß nicht mal, ob ich nun den zweiten oder dritten Frühling erlebe. Ich weiß nur: Frühling. Und die Eiche. Sie steht da so eindeutig, so wuchtig und unverrückbar, dass sich die Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume in ihrem Schatten kaum rantrauen an diesen Frühling.

Also bin ich nun verantwortlich für dieses Symbol von Kraft, Stärke, Standhaftigkeit und deutschen Tugenden, die ich samt und sonders erfolgreich verdrängt geglaubt hatte. Ich werde ihren Wuchs beobachten, ihr Äste beschneiden, bevor der Sturm sie kappt, ihren Stamm tätscheln, ihr Laub einsammeln und mich darüber ärgern, wieviel Laub ein einzelner Baum übers Jahr produzieren kann  - und vielleicht einmal etwas in ihre Rinde ritzen. Niemand hat das bisher getan. Sie war wohl zu Erfurcht gebietend.
Vielleicht werde ich nichts hinein ritzen.

Abends, wenn die Sonne durch ihre Äste dringt, werde ich wissen, ob der Tag gut war. Ich werde wissen, ob ich mit wohligem Seufzer die Füße gegen die Stütze vom Terrassenvordach pressen kann, den Rücken entspannt im Holzsessel zurückgelehnt. Ich werde wissen, ob ich zufrieden sein kann mit dem, was ich geschrieben habe. Ob ich geliebt habe oder noch lieben werde, ob ich mich freue auf die Stille der Nacht oder Sehnsucht habe nach Musik und Tanz.
Und dann werde ich sagen: "Gute Nacht, Eiche!"

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