Männer sind bekanntlich Weicheier, wenn es um
den Besuch beim Arzt geht. Namentlich im Angesicht des Urologen. Urologe =
rektale Prostatatastuntersuchung. So denkt man. Frau auch. Bis sie hingeschickt
wird, weil Niere, Blase oder was sich sonst in der Nachbarschaft artverwandter
Organe befindet, irgendein Wehwehchen aufweist, das sich außerhalb der Wirk- und
Reichweite der hausärztlichen Fachhände vermuten lässt.
Dieser hier trägt den klangvollen Namen Rauher,
was zunächst nicht weiter von Belang ist. Erst als eine auffallend hübsche
Sprechstundenhilfe mit einem auffallend gelb-grünen Restveilchen am rechten
Auge ins Untersuchungszimmer bittet, kommt ein leises Irritationsgefühl auf.
Plötzlich wirkt die dunkelbraune Spät-70er-Atmosphäre aus vollgestopften
Einbauschrankwänden und heruntergelassenen Jalousien beklemmend, die noch während der kaum 95-minütigen Wartezeit etwas beruhigend Einschläferndes ausstrahlte.
Der Herr Dr. urol. folgt der ramponierten
Schönheit auf dem Fuße und offeriert einen wohltemperiert rauhen Händedruck –
irgendwo zwischen jovialem Ist-doch-alles-halb-so-wild und
Kennen-wir-uns-nicht-von-irgendwoher.
Dass wir uns kennen, weiß er, weil es in
meiner Patientenkarte steht. Der Rest hat vermutlich mit einer Art
Röntgen-Diagnoseblick zu tun. Das soll es ja geben: Menschen, die einem nur ins
Gesicht sehen müssen, um zu wissen, dass es die Galle ist, die drückt oder das
Herz-Chakra. Wer etwa den taktischen Fehler begeht, ein Foto mit
herausgestreckter Zunge bei Facebook einzustellen, erlebt Erstaunliches.
Unglaubliches. Von der Empfehlung für den TCM-Therapeuten bis zur sorgenvollen
Frage nach Hals- und Rachengesundheit. Einer entdeckte Ähnlichkeit mit Albert
Einstein. Vielleicht sollte es beruhigen, dass Einstein nicht an
urologisch-nephrologisch relevanten Zuständen litt, sondern an einem Aneurysma
verstarb. Ausbluten statt Inkontinenz – klingt nach dem besseren Tod, nicht nur
für Genies.
Vermutlich hätte Einstein berechnen können,
wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, an einen Urologen namens Rauher mit
ebensolchem Händedruck, einer Veilchen-geschmückten Helferin und tageslichtscheuer
Inneneinrichtung zu geraten. Ich wette, sie geht gegen Null.
Der Doktor kommt indes so direkt wie diskret
zur Sache, hilft beim ultraschallbedingten Herunterziehen des Hosenbundes,
bietet zwei Behandlungsalternativen – eine mit Kostenerstattung durch die
Kassen, eine ohne – bittet um Wiederkehr zwecks frischer Urinabgabe und hat
sich nach präzisen acht Minuten Gesamtzeit schon wieder verabschiedet – mit einem
Ist-doch-alles-halb-so-wild-Händedruck.
Die Veilchen-Prinzessin reicht lächelnd einen
Urinbecher über den Tresen und notiert den nächsten Termin.
Beim Verlassen der Praxis fällt der Blick auf
einen von innen an die Glastür geklebten Notizzettel, über Kopf zu lesen: „Wir
haben heute kein Blut. Bis morgen!“