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Dienstag, 30. April 2013

Kürzlich beim Urologen

 
Männer sind bekanntlich Weicheier, wenn es um den Besuch beim Arzt geht. Namentlich im Angesicht des Urologen. Urologe = rektale Prostatatastuntersuchung. So denkt man. Frau auch. Bis sie hingeschickt wird, weil Niere, Blase oder was sich sonst in der Nachbarschaft artverwandter Organe befindet, irgendein Wehwehchen aufweist, das sich außerhalb der Wirk- und Reichweite der hausärztlichen Fachhände vermuten lässt.

Dieser hier trägt den klangvollen Namen Rauher, was zunächst nicht weiter von Belang ist. Erst als eine auffallend hübsche Sprechstundenhilfe mit einem auffallend gelb-grünen Restveilchen am rechten Auge ins Untersuchungszimmer bittet, kommt ein leises Irritationsgefühl auf. Plötzlich wirkt die dunkelbraune Spät-70er-Atmosphäre aus vollgestopften Einbauschrankwänden und heruntergelassenen Jalousien beklemmend, die noch während der kaum 95-minütigen Wartezeit etwas beruhigend Einschläferndes ausstrahlte. 
Der Herr Dr. urol. folgt der ramponierten Schönheit auf dem Fuße und offeriert einen wohltemperiert rauhen Händedruck – irgendwo zwischen jovialem Ist-doch-alles-halb-so-wild und Kennen-wir-uns-nicht-von-irgendwoher.
Dass wir uns kennen, weiß er, weil es in meiner Patientenkarte steht. Der Rest hat vermutlich mit einer Art Röntgen-Diagnoseblick zu tun. Das soll es ja geben: Menschen, die einem nur ins Gesicht sehen müssen, um zu wissen, dass es die Galle ist, die drückt oder das Herz-Chakra. Wer etwa den taktischen Fehler begeht, ein Foto mit herausgestreckter Zunge bei Facebook einzustellen, erlebt Erstaunliches. Unglaubliches. Von der Empfehlung für den TCM-Therapeuten bis zur sorgenvollen Frage nach Hals- und Rachengesundheit. Einer entdeckte Ähnlichkeit mit Albert Einstein. Vielleicht sollte es beruhigen, dass Einstein nicht an urologisch-nephrologisch relevanten Zuständen litt, sondern an einem Aneurysma verstarb. Ausbluten statt Inkontinenz – klingt nach dem besseren Tod, nicht nur für Genies.
Vermutlich hätte Einstein berechnen können, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, an einen Urologen namens Rauher mit ebensolchem Händedruck, einer Veilchen-geschmückten Helferin und tageslichtscheuer Inneneinrichtung zu geraten. Ich wette, sie geht gegen Null.
Der Doktor kommt indes so direkt wie diskret zur Sache, hilft beim ultraschallbedingten Herunterziehen des Hosenbundes, bietet zwei Behandlungsalternativen – eine mit Kostenerstattung durch die Kassen, eine ohne – bittet um Wiederkehr zwecks frischer Urinabgabe und hat sich nach präzisen acht Minuten Gesamtzeit schon wieder verabschiedet – mit einem Ist-doch-alles-halb-so-wild-Händedruck.
Die Veilchen-Prinzessin reicht lächelnd einen Urinbecher über den Tresen und notiert den nächsten Termin.

Beim Verlassen der Praxis fällt der Blick auf einen von innen an die Glastür geklebten Notizzettel, über Kopf zu lesen: „Wir haben heute kein Blut. Bis morgen!“ 

Donnerstag, 25. April 2013

Dienstag, 16. April 2013

Die Eiche II


Nun binde ich meine Worte an einen Ballon und schicke sie in den Wind, dabei wünschte ich, du fingest sie auf mit den zartesten deiner Triebe und hieltest sie sanft im Blattwerk, bis das Jahr seine Zeiten durch dich und mich getrieben hat und am Ende wieder die Hoffnung steht, dass es noch einmal gut werde – ein Jahr.

Sie zittern und zagen dort oben, meine Worte. Sie sind flüchtig, wenn du sie nicht hältst. Fragil und zart, wie jedes Versprechen. Wie jeder Eid, der unter dir geschworen wurde, jeder Schwur, den sie dir in die Jahrhundertborke ritzten.
Ein Jahr. Ein Jahr will ich dir versprechen. Vorerst. Mehr wage ich nicht. Ein Augenblick für dich, so unsagbar groß, alt und standhaft du bist. Wie viele Stürme hast du durchgestanden, wie viel Eis im Frühjahr aus deiner Krone geschüttelt, wie viele Eicheln hast du geboren, wie viele nutzlos am Boden verdorren sehen?

Genügsam bist du. Du brauchst die Worte nicht. Und nicht die Liebe. Brauchst kein Herz und keine Hand, die dich liebkost. Freigiebig schenkst du ihr deinen Schatten, schickst sanfte Lichtspiele hinunter auf jene, die so bedürftig um Herz und Hand seufzen, weil das Seufzen die Worte überflüssig macht.

Teuerste, treueste Freundin. Das wirst du mir, egal, ob ich es dir auch werde. Schattenspielspenderin meiner Liebe. Hüterin von Herz und Hand. Wächterin meiner Worte.

Was, wenn übers Jahr mein Herz verdorrt, mir das Eis die Adern zerfrisst und der Sturmwind mich zittern macht? Was, wenn die Liebe geht? Werde ich stehen wie du? Groß, alt, ruhig, genügsam, wachsam, freigiebig? Stark?

Halte mein Wort, damit es nicht zerrissen wird in kommenden Stürmen.
Ein Jahr. 

Samstag, 13. April 2013

Die Eiche

Ich hätte mir Katzen zulegen können, oder einen Sittich. Ein Tageskind wäre auch möglich gewesen. Und so praktisch: Abends würde es abgeholt, mitsamt der dazugehörigen Verantwortung. Danach könnte ich die Beine hochlegen, ein gutes Buch zur Hand nehmen oder die Fernbedienung. Oder mal wieder ins Kino oder ins Theater gehen. Da war ich schon länger nicht mehr, wenn ich's recht bedenke.

Stattdessen nun die Eiche. Sie ist alt, deutlich älter als ich, was ja schon was heißen will. Aber sie reckt die Arme gen Himmel, als wäre dies ihr erster Frühling. Ich weiß nicht mal, ob ich nun den zweiten oder dritten Frühling erlebe. Ich weiß nur: Frühling. Und die Eiche. Sie steht da so eindeutig, so wuchtig und unverrückbar, dass sich die Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume in ihrem Schatten kaum rantrauen an diesen Frühling.

Also bin ich nun verantwortlich für dieses Symbol von Kraft, Stärke, Standhaftigkeit und deutschen Tugenden, die ich samt und sonders erfolgreich verdrängt geglaubt hatte. Ich werde ihren Wuchs beobachten, ihr Äste beschneiden, bevor der Sturm sie kappt, ihren Stamm tätscheln, ihr Laub einsammeln und mich darüber ärgern, wieviel Laub ein einzelner Baum übers Jahr produzieren kann  - und vielleicht einmal etwas in ihre Rinde ritzen. Niemand hat das bisher getan. Sie war wohl zu Erfurcht gebietend.
Vielleicht werde ich nichts hinein ritzen.

Abends, wenn die Sonne durch ihre Äste dringt, werde ich wissen, ob der Tag gut war. Ich werde wissen, ob ich mit wohligem Seufzer die Füße gegen die Stütze vom Terrassenvordach pressen kann, den Rücken entspannt im Holzsessel zurückgelehnt. Ich werde wissen, ob ich zufrieden sein kann mit dem, was ich geschrieben habe. Ob ich geliebt habe oder noch lieben werde, ob ich mich freue auf die Stille der Nacht oder Sehnsucht habe nach Musik und Tanz.
Und dann werde ich sagen: "Gute Nacht, Eiche!"

Mittwoch, 10. April 2013

Rätsel ohne Punkt


Ich würde dir ohne Bedenken
Meine letzten Lettern schenken.
Als letztes Wort ein zartes du;
mein schönstes A und O dazu.

Hier ein hübsch langer Gedankenstrich!
Dies Semikolon: nur für dich!
Ausrufe-, Frage-, Anführungszeichen
ritz ich für dich in alte Eichen.

Die Kommas kann ich eh kaum brauchen,
da schenk ich dir nen ganzen Haufen.
Darauf noch ein Auslassungsstrich -
bloß einen Punkt, den find ich nicht.

Drum lies mich doch gern noch einmal:
Saug auf die Konsonante und Vokale!
Und wenn du mich jetzt fragst: Wofür?
Das steht auf einem andern Papier.

© Christiane Nitsche

Dienstag, 9. April 2013

Noah - oder wie man keinen Löwen bändigt

Delgardo schloss die Wohnwagentür hinter sich. Drinnen war die Luft stickig und verbraucht, trotz der aufsteigenden Kälte. Er setzte sich an den kleinen Tisch neben der Kochnische und goß sich ein Glas Grappa ein. Dann nahm er die Papiere zur Hand, die ordentlich gestapelt an der Seite lagen. Rechnungen, die bezahlt werden mussten. Dokumente vom Veterinäramt, Versicherungspolicen. Wie oft hatte er überlegt, ob er die Lebensversicherung aufkündigen sollte. Mit dem Geld könnten sie einen ganzen Winter überleben. Aber was käme dann? Er schob die Papiere zur Seite und drehte das Glas zwischen seinen Händen. „Deine Wermutstropfen“ hatte Maria sein abendliches Glas Grappa immer genannt. Dabei mochte er keinen Wermut. Dass sie „Wehmut“ gemeint hatte, war ihm erst klar geworden, als sie ihn längst verlassen hatte. „Du hast keine Zukunft, Marcello“, hatte sie geklagt. „weil du keine Zukunft haben willst.“

aus: Noah. Kurzgeschichte. März 2013 

Montag, 8. April 2013

Frauenend: Briefklappen und andere Geheimnisse




Maurer war sichtlich zufrieden. Kauend stand er am Tresen und betrachtete sein Werk. Drei Briefklappen, nebeneinander angebracht. Er hatte viel Mühe darauf verwandt, sie so anzuordnen, dass die unterschiedliche Größe der Klappen das Gesamtbild nicht beeinträchtigten würde. Die Öffnung für große Geheimnisse erinnerte entfernt an eine Katzenklappe, wobei Katzen dieser Größenordnung wohl eher in Wildparks anzutreffen wären. Er hatte sie mittig eingepasst. Die mittlere Klappe, durch die bequem ein Ziegelstein passte, steckte von innen gesehen rechts daneben, während die briefschlitzdicke für die kleinen Geheimnisse links daneben angebracht war. Die oberen Abschlüsse bildeten eine penibel waagerecht ausgerichtete Linie. Der Edelstahlrahmen, der das gesamte Ensemble von außen sichtbar zusammenhielt, verlieh ihm zuätzliche Seriosität. Maurer konnte wirklich stolz sein auf seine Arbeit. Die zugemauerte Tür mit den einladenden Briefklappen sah genauso aus, wie ich sie mir gewünscht hatte. Mit dem Schild des Graveurs würde sie perfekt sein. Ich beobachtete Maurer durch das Schulstraßenfenster und fragte mich, was wohl in seinem Kopf vorging.

“Ich hoffe, sie versprechen sich nicht zuviel davon”, sagte er, als ich mit meinem Karton voller Einkäufe durch die Hintertür wankte.
“Nicht weniger als eine Welt”, antwortete ich.
“Eine Welt?”
“Ja, eine Welt. Selbstverwirklichung war früher. Jetzt gilt es, eine Welt zu verwirklichen.”
“Eine Welt? In Frauenend?”
Er bedachte mich mit einem “Sind-Sie-sich-im-Klaren-wo-Sie-hier-gelandet-sind”-Blick und stellte das Kauen ein.

Auf dem Tresen lag wieder eine aufgerissene Gebäcktüte, darauf eine Zimtschnecke. Maurer musste entweder über eine nahegelegene Quelle oder einen Nachschublieferanten verfügen. Oder er hatte mir seine Lieblingsstücke vorenthalten beim ersten gemeinsamen Frühstück. Oder aber er wusste mehr über mich als mir lieb sein konnte. Hätte ich es gewusst – Zimtschnecken wären ganz oben auf der Liste der Dinge gewesen, die ich in verlorenen zwölf Jahren vermisst hätte. Bevor ich fragen konnte, registrierte er meinen Blick. “Die ist für Sie”, erklärte er.
Ich versuchte es mit gespielter Unbekümmertheit: “Wie kommt’s?”
“Zimt ist was für Mädchen.”  

Sonntag, 7. April 2013

Ein Ort für Frauenend & Co.


"Heimat ist immer irgendwo. Die Oberfläche verändert sich, im Kern ist es das Gleiche: Verweilen, atmen, arbeiten, Spuren hinterlassen. Vielleicht auch lieben. Das kann man an jedem Ort der Welt."

Dienstag, 2. April 2013

Montag, 1. April 2013

Spontane Wortgeburten XI

Ostern, m.

Der Ostern ist der natürliche Fressfeind des Weihnachtssterns, weshalb sich jener in den kalten Dezember zurückgezogen hat, wo er auf Fensterbänken und in Geschäftsauslagen ein kümmerliches Dasein fristet.
Der Ostern indes ist kälteresistent, auch wenn er zu den Frühblühern zu zählen ist. Er überlebt aber in freier Natur nur jeweils vier Tage.
Da er eine Rudelpflanze ist, hält er sich gerne in der Nähe von Hasen, Kaninchen und Hühnern auf. Seine Eier werden von allerlei Getier, darunter auch zweibeinige Säugetiere, aufgeklaubt, verspeist und somit weiterverbreitet.
Die Tragezeit beträgt bis zu 399 Tage, da der Ostern grundsätzlich erst nach dem ersten Frühjahrsvollmond das Licht der Welt erblickt. Er orientiert sich dabei an der aufgehenden Sonne im Osten (sic!), sondert sich aber generell vom etwas unbeweglicheren --> orthodoxen Ostern ab.