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Montag, 8. April 2013

Frauenend: Briefklappen und andere Geheimnisse




Maurer war sichtlich zufrieden. Kauend stand er am Tresen und betrachtete sein Werk. Drei Briefklappen, nebeneinander angebracht. Er hatte viel Mühe darauf verwandt, sie so anzuordnen, dass die unterschiedliche Größe der Klappen das Gesamtbild nicht beeinträchtigten würde. Die Öffnung für große Geheimnisse erinnerte entfernt an eine Katzenklappe, wobei Katzen dieser Größenordnung wohl eher in Wildparks anzutreffen wären. Er hatte sie mittig eingepasst. Die mittlere Klappe, durch die bequem ein Ziegelstein passte, steckte von innen gesehen rechts daneben, während die briefschlitzdicke für die kleinen Geheimnisse links daneben angebracht war. Die oberen Abschlüsse bildeten eine penibel waagerecht ausgerichtete Linie. Der Edelstahlrahmen, der das gesamte Ensemble von außen sichtbar zusammenhielt, verlieh ihm zuätzliche Seriosität. Maurer konnte wirklich stolz sein auf seine Arbeit. Die zugemauerte Tür mit den einladenden Briefklappen sah genauso aus, wie ich sie mir gewünscht hatte. Mit dem Schild des Graveurs würde sie perfekt sein. Ich beobachtete Maurer durch das Schulstraßenfenster und fragte mich, was wohl in seinem Kopf vorging.

“Ich hoffe, sie versprechen sich nicht zuviel davon”, sagte er, als ich mit meinem Karton voller Einkäufe durch die Hintertür wankte.
“Nicht weniger als eine Welt”, antwortete ich.
“Eine Welt?”
“Ja, eine Welt. Selbstverwirklichung war früher. Jetzt gilt es, eine Welt zu verwirklichen.”
“Eine Welt? In Frauenend?”
Er bedachte mich mit einem “Sind-Sie-sich-im-Klaren-wo-Sie-hier-gelandet-sind”-Blick und stellte das Kauen ein.

Auf dem Tresen lag wieder eine aufgerissene Gebäcktüte, darauf eine Zimtschnecke. Maurer musste entweder über eine nahegelegene Quelle oder einen Nachschublieferanten verfügen. Oder er hatte mir seine Lieblingsstücke vorenthalten beim ersten gemeinsamen Frühstück. Oder aber er wusste mehr über mich als mir lieb sein konnte. Hätte ich es gewusst – Zimtschnecken wären ganz oben auf der Liste der Dinge gewesen, die ich in verlorenen zwölf Jahren vermisst hätte. Bevor ich fragen konnte, registrierte er meinen Blick. “Die ist für Sie”, erklärte er.
Ich versuchte es mit gespielter Unbekümmertheit: “Wie kommt’s?”
“Zimt ist was für Mädchen.”  

2 Kommentare:

  1. gute idee - eine welt verwirklichungsworkshop in immekeppel - wir arbeiten dran ;)

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  2. in Immekeppel? ich dachte eher, wir machen das demnächst mal wieder hier. :-)

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